Villa Morton

Marazlijewskaja-Straße 16
Villa Morton, die eher nicht zu den markantesten Gebäuden der Marazlijewskaja-Straße zählt, beeindruckt durch eine ausgeklügelte Kombination der Stilelemente und die eine oder andere architektonische Raffinesse. Übrigens ist es eins der ältesten Häuser der Straße.
Gebäudeart:
- Villa und Mietshaus
Baustil:
- Eklektizismus, Mischung von Barock und Renaissance
Architekt:
- Demosfen E. Masirow
Baujahr:
- 1886
Status:
- Baudenkmal von lokaler Bedeutung
Die Hauptfassade




1886 wurde in der Marazlijewskaja-Straße eine weitere Villa gebaut. Entworfen wurde sie vom Architekten armenischer Herkunft Demosfen M. Masirow für Julia S. Morton (1858-?), vermutlich die Tochter des Adligen Stepan I. Ralli, der als reichster Geschäftsmann von Odessa galt. Stepan Ralli gehörte ein Grundstück an den Sabanski-Kasernen in der nahegelegenen Kanatnaja-Straße. Julia Morton war 28 Jahre alt, als sie in den Besitz der Villa kam, und es gilt als sehr wahrscheinlich, dass ihre Familie das Haus bewohnte.
Während Ralli mehrere Mietshäuser besaß, gehörte Morton nur die Villa in der Marazlijewskaja-Straße. Zum Zeitpunkt der Beauftragung konnte der Architekt Masirow bereits Umgestaltungen einiger Bauten und eine kleine Anzahl raffinierter Gebäude im Auftrag von Wurgawt, Mawrokordato, Lipman-Wulf und Richter als Referenzen vorweisen. Kennzeichnend für seine Entwürfe waren neobarocke Elemente, eine gute Raumkomposition und pittoreske Gestaltung. Zwar kommt die mit Renaissance-Motiven verzierte Villa Morton vergleichsweise zurückhaltend daher, dies wird aber durch die ausgeklügelte architektonische Gesamtkonzeption aufgewogen.
Charakteristisch sind Asymmetrien im Grundriss und Dekor. Die Villa ist mit einem Abstand zum benachbarten Grundstück, was zum Bauzeitpunkt möglicherweise noch leer stand, gebaut. Zu diesem Grundstück hin wurde eine Einfahrt mit darüber liegenden Wohnräumen errichtet. Dabei wurde der Hauptakzent auf den abgerundeten Hauseckteil gesetzt, die Fassadengestaltung bekam dadurch eine waagerechte Ausrichtung. Die Fassade ist mit zwei Risaliten verziert. Der schmalere linke Risalit hat die Breite von zwei Fensterachsen und betont die linke Fassadenfläche, im ersten Stock wird er von den Pilastern dorischer Ordnung abgeschlossen.
Ebenfalls im ersten Stock, in der Fassadenmitte, ist eine Karyatidenplastik zu sehen, die die Skulpturen an den Häusern Marazlijewskaja-Straße 36 und Sadowaja-Straße 16 (Entwürfe des Architekten W.M. Kabiolski) genau nachbildet. Die Karyatide stellt einen Ausgleich zum rechten Fassadenteil dar, der üppiger dekoriert ist. Ein weiterer Risalit in der Breite von drei Fensterachsen schmückt den abgerundeten Eckteil der Villa. Die Fensterpfeiler des ersten Stockwerks sind mit Halbsäulen korinthischer Ordnung abgesetzt.
Der Fassadendekor im ersten Stock













Der Haupteingang liegt asymmetrisch am linken Risalitrand. Der Dekor des Haupteingangs einschließlich der Tür und des schmucken Vordachs auf schlanken gusseisernen Säulen ist komplett erhalten geblieben. Eine ähnliche Eingangstür, jedoch in einer einfacheren Ausführung ist in der Marazlijewskaja-Straße 26, Haus Kaznelson, zu sehen.
Der Haupteingang








Der Risalit wird durch einen bogenartigen Attika-Vorsprung betont. Der Vorsprung verläuft entlang der gesamten Fassade, ist in den Risaliten durchgängig und in sonstigen Fassadenteilen durch Balustraden durchbrochen. Die Stockwerke kontrastieren im Dekor. Der erste Stock ist mit vielen kleinen Stuckelementen und Ornamenten sowie mit bereits erwähnten Pilastern, Halbsäulen und der Karyatide reich verziert. Dagegen sind im Hochparterre nur bossierte Lisenen und Balustraden unter den Fenstern eingesetzt.

Das bewohnbare Souterrain ist lediglich durch Streifenrustika abgesetzt, die Fensteröffnungen sind mit Stich ausgeführt.
Die Fassade hat einen einzelnen, dafür aber einen großen Balkon. Er beginnt am Rand des Hauptrisalits und verläuft um den Eckteil herum bis zur Brandwand des benachbarten Hauses. Die Balkonbrüstung ist ein mit Ornamenten verziertes Metallgeländer auf Steinsockeln; ob es heute ein Original darstellt, ist fraglich. Ende 20.-Anfang 21. Jhds. wurde rechts vom Eckteil auf einem Sockel eine Terrasse angebaut, deren Metallelemente einen Teil des Balkons tragen. Die Einfahrt ist mit Barockelementen verziert. Mit seinem Abstand zur Straßenfluchtlinie ähnelt er architektonisch den Einfahrten in der Marazlijewskaja-Straße 36 (Haus Petrowa, erbaut 1901) und Marazlijewskaja-Straße 38 (Mietshaus Wassal, erbaut 1902-1912).
Die Einfahrt






Die Hofseite beeindruckt durch das Volumenspiel und die Asymmetrien. Ein trapezförmiger Risalit etwa in der Mitte kaschiert eine Dienst-Wendeltreppe aus Metall. Über die Wendeltreppe, die gut erhalten geblieben ist, gelangt man in die beiden Stockwerke und in den Dachraum.
Die Hofseite



Der Erker der Hofseite




Die Diensttreppe







Die Diensttreppe wird durch schmale Fensteröffnungen an allen Seiten des Risalits beleuchtet; ganz oben sind es Bogenfenstser. Rechts vom Risalit ist ein trapezförmiger Erker mit breiten Fenstern; die Erkerecken sind mit Säulen toskanischer Ordnung dekoriert. Links im Dachgeschoss ist eine original erhalten gebliebene Mansarde, die nur über die Diensttreppe erreichbar ist. Über die Diensttreppe gelangt man auch zu Souterrain-Wohnungen.
Der Haupteingang war ursprünglich entsprechend der Fassade reich verziert, vermutlich auch mit Malereien, die jedoch später überstrichen wurden. Die Säulen ionischer Ordnung, die den Durchgang zwischen der Treppenhausschleuse und dem Treppenabsatz markieren, sind beschädigt: Die Voluten an den Außenseiten sind abgeschlagen. Die Decke der Treppenhausschleuse stellt ein Kreuzgewölbe dar; die Decke über dem Treppenabsatz ist flach und mit Stuck verziert. Zwischen den Wänden und dem Gewölbe verläuft ein Stuckgesims, das von den bereits erwähnten Säulen und den Konsolen quasi gestützt wird.
Der Hausflur







Die Treppenhausdecke im Hochparterre


Die zu beiden Seiten des Hochparterres liegenden Wohnungen wurden vermutlich ursprünglich vermietet. Vom Treppenpodest gelangt man zur Treppenhausschleuse. Die Treppe, die ins erste Stockwerk führt, beeindruckt durch eine elegante hufeisenartige Kurve.
Die Haupttreppe und der Hausflur





Das Treppengeländer ist eine fast überladen wirkende Kombination einfacher geometrischer Muster, die meistens aus Kreisen und Schnörkeln bestehen. Dabei ist es eine selten anzutreffende und kaum bekannte Ausführung.
Das Treppengeländer








Der Deckenbalken wird von zwei Säulen gestützt. Die Säulenkapitele korinthischer Ordnung sind in plastischer Hinsicht frei interpretiert.
Die Säulen im Vestibül




Der Treppenabsatz im ersten Stock war seinerzeit ein Vestibül. Ein Teil davon fiel den Umbaumaßnahmen zum Opfer, als die Villa zur Sowjetzeit zu Gemeinschaftswohnungen umstrukturiert wurde. Vom ehemaligen Vestibül aus gelangt man über einen schmalen Flur zur oben beschriebenen Diensttreppe.
** Literatur- und Quellenverzeichnis **
- S. Reschetow «Ralli», in: Wsemirnyje odesskije nowosti, Nr. 74 vom 3.11.2009
- L. Lisjanski «Vsja Odessa» (Ganz Odessa), Verzeichnis von 1908
- V. Piljawski «Zodtschije Odessy» (Die Architekten von Odessa)
- V. Piljawski «Architektura Odessy. Stil i wremja» (Architektur von Odessa. Stil und Zeit)
- V. Piljawski «Zdanija, soorushenija i pamjatniki Odessy i ih zodtschije» (Häuser, Bauwerke, Denkmäler von Odessa und ihre Architekten)
- Artikel zum Haus im Blog Antique
Von:
- Alexander Levitsky, Artdirector, Fotograf und Kolorist
- Dmitriy Shamatazhy, Fotograf und Verfasser
- Oleg Kreposnyak, Verfasser und Redakteur
- Marina Tomenko, Redakteurin
- Lena Lukoschko, Übersetzerin