Mietshaus Mawromatis

Bolschaja-Arnautskaja-Straße 10
Das im sogenannten Backsteinstil sehr solide gebaute Mietshaus Mawromatis veranschaulicht das für den Anfang des 20. Jhs. charakteristische Streben nach Rationalisierung der Architektur.
Gebäudeart: Mietshaus
Baustil: «Backsteinstil», deutsche Renaissance
Architekt: Adolf B. Minkus
Bauzeit: 1906-1908
Status: historisches Baudenkmal von lokaler Bedeutung
Vorgangsbau: Villa A. Bejul
Die Fassade




Auf der geraden Seite der Bolschaja-Arnautskaja-Straße wurden vier aneinander liegende Flurstücke Nr. 10-16 nach den Entwürfen des herausragenden Architekten Adolf B. Minkus bebaut. Besonders bekannt ist Minkus für seine Bauten im Stil des Eklektizismus Ende des 19. Jhs. sowie in den verschiedenen Stilrichtungen der Moderne Anfang des 20. Jhs.
Nach Angaben der Verzeichnisse der Hausbesitzer von Odessa aus den 1900er Jahren gehörte das Flurstück Nr. 10 zum Zeitpunkt der Bebauung Herrn P.M. Mawromatis, der das Geschäft «Trocken- und Kolonialwaren Mawromatis» in der Gretscheskaja-Straße hatte. Der Vorgangsbau war die Villa des Kaufmanns A. Bejul (erbaut 1849 von A. Shalobinski), die u.a. im Verzeichnis von V. Piljawski genannt wird. Die Villa ist zwar vor über 100 Jahren abgerissen worden, das Haus Mawromatis wird von Piljawski jedoch nicht erwähnt.
Das viergeschossige neunachsige Vorderhaus samt zwei Hinterhäuser, die tief ins Innere des Grundstücks hineingehen, wurde 1906-1908 errichtet. Am Ende der Bauzeit konnte die Stadt ein herausragendes Beispiel der Backstein-Wohnarchitektur vorweisen.
Die Straßenfassade im «Backsteinstil» weist die Elemente der deutschen Renaissance auf und ähnelt der Straßenfassade des Hauses von J.M. Teper in der Osipow-Straße 6 (erbaut 1901 von A. Minkus und F. Troupjanski), allerdings ist sie nicht mit Putz versehen und zurückhaltender in der Gestaltung.
Auch hat die Straßenfassade des Hauses Mawromatis keine Stuckdekoration: Alle plastischen Elemente sind aus Backstein gearbeitet.
Der Architekt setzt den Hauptakzent auf das Doppelfenster im Renaissance-Stil im obersten Stock und auf das Eingangsportal in der Hauptachse. Dank hoher und relativ enger Fensteröffnungen, die mit Dekorelementen abgesetzt sind, wirkt das von Minkus entworfene Haus nicht so massiv, wie z.B. die Backsteinhäuser des Architekten P. U. Klein.
Die Straßenfassade ist symmetrisch aufgebaut, die Mittelachsen sind durch einen Risalit leicht hervorgehoben und durch Pilaster voneinander getrennt. Die Hauptachse ist eine Doppelachse. Die Pilaster des Risalits zwischen 2. und 3. Stock sind mit den für den Baustil typischen schmiedeeisernen Agraffen ausgestattet.
Die Ausschmückung der Straßenfassade






Die Agraffen schmücken die Wandabschnitte zwischen den Fenstern sowie die Pfeiler, die das Haus flankieren, und sind in der gleichen Höhe angebracht. Die Agraffen haben zwei verschiedene Ausführungen: An den Wandpfeilern sind es zwei runde Klammern von einem Kreis umschlossen; an den anderen Stellen sind es Kreise ohne Klammern. In der Höhe des 2. und 3. Stocks haben die Wandpfeiler Nischen. Der Mittelrisalit wird vom Attika gekrönt. Über der Mittelachse ragt der Attika etwas heraus und formt so die Fassadensilhouette auf eine besondere Art.
Das Haus ist symmetrisch aufgebaut. Das viergeschossige Vorderhaus wird durch ein u-förmiges ebenfalls viergeschossiges Hinterhaus ergänzt. Die beiden Häuser bilden einen geschlossenen fast quadratischen Innenhof.
An das viergeschossige Hinterhaus grenzt ein weiteres, dreigeschossiges und ebenfalls u-förmiges Hinterhaus, so dass noch ein — kleinerer — Innenhof entsteht. Der größere Innenhof ist von der Straße über die Einfahrt links vom Eingangsportal zu erreichen.
Die Einfahrt hat eine Flachdecke, die Wandflächen sind mit Pilastern verziert. Das Einfahrtstor ist nicht mehr vorhanden, das Toroberlicht stammt jedoch aus der Bauzeit und ähnelt in der Ausgestaltung dem Balkongeländer an der Straßenfassade.
Die Einfahrt und das Eingangsportal












Die Hinterhäuser sind über die Einfahrt verbunden, die in der Mittelachse des viergeschossigen Hinterhauses liegt. Sie sind aus dem für Odessa typischen Muschelkalkstein gebaut und in der Fassadenausgestaltung sehr zurückhaltend. Die Fensteröffnungen sind mit einfachen massiven Putzdeckleisten abgesetzt, das Muster ist eher selten, in seinen Variationen jedoch bei eklektischen Bauten von Odessa verbreitet.
Die Hoffassaden im großen Innenhof









Die Hauseingänge des viergeschossigen Hinterhauses liegen in zwei Ecknischen der Hausflügel; über den Eingängen sind Treppenhausfenster.

Über der Einfahrt zum kleineren Innenhof liegt die Botentreppe, die heutzutage nicht mehr benutzt wird; die Fenster des Treppenhauses schauen zum dreigeschossigen Hinterhaus. Das Treppenhaus beginnt im 1. Stock, wohin vom Hof aus eine schmale Metalltreppe führt.
Die Fassade des viergeschossigen Hinterhauses vom kleineren Innenhof aus



Der Hauseingang liegt in der Mittelachse des hinteren Flügels. In den Nischen der Seitenflügel sind offene Feuertreppen, das Treppengeländer stammt teilweise aus der Bauzeit.
Das dreigeschossige Hinterhaus





Das dreigeschossige Hinterhaus, die Eingangstür


Die Fassade des dreigeschossigen Hinterhauses hat Balkone, originell in ihrer Trapezform. Die Ausschmückung der Balkongeländer beider Hinterhäuser ist identisch.
Das Vorderhaus verfügt über nur einen Eingang, worüber sieben große Mietwohnungen, die komfortabelsten und teuersten im ganzen Gebäudekomplex, zu erreichen waren. Die Ausgestaltung des Treppenhauses stammt größtenteils aus der Bauzeit.
Das Eingangsportal des Vorderhauses



Zwei Türen aus der Bauzeit bilden einen Windfang, den Windfangboden schmückt die Betonmosaik mit der Aufschrift Salve (eine lateinische Grußformel).
Der Fußboden im Flur des Vorderhauses







Die anderen Fußböden und Treppenabsätze des Treppenhauses haben ebenfalls Betonmosaik mit teilweise seltenem Muster, die Treppenstufen sind aus Marmor. Das Ornament des Treppengeländers war Ende des 19. Jhs. in Europa verbreitet, in Odessa jedoch selten.
Das Treppenhaus des Vorderhauses, das Treppengeländer





Die zurückhaltend ausgestatteten Treppenhausfenster und Wohnungstüren stammen überwiegend aus der Bauzeit.
Die Wohnungstüren des Vorderhauses



Die Hausflurdecke ist aufwändig verziert.
Die Hausflurdecke




Die Decke wird von massiven Pilastern ohne Dekor gestützt.

Die Treppenhäuser des viergeschossigen Hinterhauses sind kleiner und schmaler. Die Beleuchtung erfolgt durch die Treppenhausfenster in den Ecknischen der Hausflügel sowie durch eine Glaslampe über dem Treppenabsatz. Die Treppenabsätze sind mit Betonmosaik ausgeschmückt, die Treppenstufen sind aus Marmor, der Hausflurboden am Eingang ist mit einem Ornament verzeirt. Das Treppengeländer hat ein seltenes Muster, das vermutlich nirgendwo mehr anzutreffen ist. Die Wohnungen gehen von jedem Treppenabsatz ab, was möglicherweise mit den unterschiedlichen Geschossebenen des hinteren und des seitlichen Hausflügels zusammenhängt.
Das Treppenhaus des viergeschossigen Hinterhauses




Das Treppenhaus des dreigeschossigen Hinterhauses ist mit einer Metalltreppe ausgestattet, das Treppengeländer ist aus Gußeisen. Auf den Treppenstufen ist das Herstellerkennzeichen Maschinenbau- und Eisenwerk W. Restel zu sehen. Die Geländerpfosten sind mit einem eher wenig verbreiteten Ornament verziert.
Das Treppengeländer im dreigeschossigen Hinterhaus








Das Treppenhaus des dreigeschossigen Hinterhauses


Die Wohnungstür im dreigeschossigen Hinterhaus


Über der hohen schmalen Eingangstür ist ein Treppenhausfenster.
Insgesamt macht das Mietshaus Mawromatis einen sehr soliden Eindruck. Es ist aufwändig und gleichzeitig funktional gebaut, die Raumeinteilung ist gut durchdacht.
Neben dem architektonischen hat das Haus auch einen historischen Wert. An der Straßenfassade ist eine Gedenktafel angebracht:
«Vom 1996-2004 wohnte in diesem Haus Alexander I. Majorow, Held der Sowjetunion, Abfangjägerpilot, der im Zweiten Weltkrieg 315 Einsatzflüge absolviert hatte».

Literatur- und Quellenverzeichnis
- V. Piljawski «Zodtschije Odessy» (Die Architekten von Odessa)
- V. Piljawski «Architektura Odessy. Stil i wremja» (Architektur von Odessa. Stil und Zeit)
- V. Piljawski «Zdanija, soorushenija i pamjatniki Odessy i ih zodtschije» (Häuser, Bauwerke, Denkmäler von Odessa und ihre Architekten)
- Artikel zum Haus im Blog Antique
Von:
- Dmitriy Shamatazhy, Fotograf und Verfasser
- Alexander Levitsky, Artdirector, Redakteur und Kolorist
- Oleg Kreposnyak, Verfasser und Redakteur
- Marina Tomenko, Redakteurin
- Lena Lukoschko, Übersetzerin