Villa Mendelewitsch

Marazlijewskaja-Straße 28
Villa Mendelewitsch, die die Züge von Art Nouveau und Renaissance virtuos vereint, beeindruckt seit nun mehr als 100 Jahren durch ihr Erscheinungsbild und dekorative Elemente und ist ein Meisterwerk des Architekten Wikenti I. Prohaska.
Von:
Alexander Levitsky
Dmitriy Shamatazhi
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Gebäudeart:
- Villa
Baustil:
- Neorenaissance
Architekt:
- Wikenti I. Prohaska
Baujahr:
- 1909
Status:
- Baudenkmal von lokaler Bedeutung
Fassade


Die Grundstücke in der Marazlijewskaja-Straße gehörten überwiegend der gehobenen Schicht, deshalb zeichnen sich die meisten Häuser durch besondere Architektur und schicke Interieurs aus. Aktive Bebauung der Straße begann Ende 19.-Anfand 20. Jahrhunderts. Einige Abschnitte wurden später bebaut, darunter auch das Flurstück № 28.
In den
Hausansicht hofseitig


Freier Giebel an der Fassade

Villa Mendelewitsch besteht aus zwei Obergeschossen und dem Souterrain. Auf den Bauplänen sieht das Gebäude fast rechteckig aus und hat keine ausgeprägten Hofflügel. Prohaska hielt sich nicht streng an den Kanon der florentinischen Renaissance, sondern mischte souverän Elemente verschiedener Baustile, u.a. die des damals sehr populären Art Nouveau. Ein Beispiel dafür sind das Umgrenzungsgitter der Souterrain-Fenster, die Eingangstür und das geschnitzte Holzgeländer der Haupttreppe. Auch sind die Flachreliefs über den Obergeschoss-Fenstern im Stil des Art Nouveau interpretiert. Der klassizistische Dreiecksgiebel und die Athena-Maske im Tympanon setzen der Villa die Krone auf.
Der Figurenschmuck der Fassade















Die Fassade ist fast komplett als Rustika gehalten, wirkt aber dank gekonntem Einsatz von Schlusssteinen, Wandtafeln im Stil der Art Nouveau und Flachreliefs recht abwechslungsreich. Die Flachreliefs über den Fenstern im ersten Stock stellen Szenen der Kindererziehung dar und stilisierte florale Elemente an den Fassadenrändern ergänzen die Gruppenplastiken.
Gesims, Ausschnitt


Fenstergesims im Hochparterre


Souterrain-Gitter




Traditionell wurden Flachreliefs an den Wandtafeln platziert, aber bei Prohaska finden sie sich direkt an der Fassadenfläche und sind somit ins Gebäude integriert. So knüpft der Architekt an die „Verschmelzung der Künste“ als eine der Hauptideen des Art Nouveau an. Prohaskas Flachreliefs sind nicht vom Gesamtdekor isoliert, sondern ein Teil davon. Eine ähnliche Umsetzung findet sich an der Fassade des Kossargowskaja-Hauses (Neshinskaja-Straße 66).
Heutzutage verfügt Villa Mendelewitsch über drei Balkone, die zur Sowjetzeiten anstelle von ursprünglichen und mit der Zeit stark beschädigten Balkonen aus Stein installiert wurden. Es ist leider nicht belegt, wie die ursprünglichen Balkone ausgesehen haben. Die Brüstung des Hauptbalkons ist nicht erhalten geblieben. Angesichts des Gesamtkonzepts der Fassade und am Beispiel von anderen Rustika-Bauten von Prohaska darf man annehmen, dass es eine Steinbalustrade war.
Torbogen


Die Wohnung von Mendelewitsch erstreckte sich über den ersten Stock, im linken und rechten Flügel des Hochparterres lag je eine Mietswohnung mit Zugang zum Souterrain. Zur Sowjetzeit wurden aus den Wohnräumen von Mendelewitsch Gemeinschaftswohnungen.
Torbogen


Die Decke des Torbogens schmücken Stuckelemente, dabei sind die Masken mit denen der Fassade von Villa Gawsewitsch (erbaut 1903 von Galperson) identisch. Wahrscheinlich hatten Mendelewitsch die Masken der Villa Gawsewitsch, die auf dem Lidersowski-Boulevard auf dem Weg zum Strand Langeron liegt, gefallen.





Original-Eingangstür im Torbogen





Im Gegensatz zur Fassade kommen das Treppenhaus und der Flur im ersten Stock nicht monumental daher. Die Kombination aus Barock und Art Nouveau lässt sie eher verschnörkelt aussehen.
Besonders zu erwähnen ist die komplett aus Holz gefertigte Art-Nouveau-Treppe. Ihr Geländer besteht nicht aus einzelnen Pfeilern, sondern aus Holzprofilen, die mit tiefen Schnitzereien und eher schlichten Motiven verziert sind.
Treppe
Die Treppe und das Fenster vom Erdgeschoss aus

Treppengeländer





Die Treppe von unten

Bemerkenswert ist ein kleiner holzverkleideter Vorraum und seine mit der Zeit stark gelittene Originaltür.
Erdgeschoss


Den Eingangsbereich zieren zwei Karyatiden, die den Flur des ersten Stocks tragen. Die Figuren sind zwar symmetrisch aufgestellt, aber nicht gleich —. Die Kore an der Vorraumtür lässt einen Arm seitlich am Körper gleiten und hält locker ihr Gewand in Höhe der Gürtellinie. Die andere Kore hält den Arm mit dem übergeworfenen Gewand in der Brusthöhe; vermutlich hatte sie ursprünglich einen Leuchter in der Hand, die Hand ist aber nicht erhalten geblieben. Die beiden Plastiken zollen dem Erotismus der Antike Tribut.
Treppenfuß

Kore




Nischenverzierung, ein Ausschnitt



Ebenfalls an der Treppe, neben der vom Eingang aus gesehen rechten Kore ist eine üppig verzierte Nische, die ursprünglich wahrscheinlich einem Leuchter, einer Blumenvase oder einer Plastik Platz bot.
Hausflur, Gesamtansicht mit allen wichtigen Dekorelementen

Die Kore und die Nische von der Treppe aus

Den Treppenabsatz im ersten Stock zieren zwei Torbogen mit Säulen und den an den Art Nouveau angelehnten Kapitellen.
Erster Stock



Treppenhaus
Verzierungen der Wandpfeiler





Die Kapitelle der Halbsäulen am Treppenabsatz im ersten Stock

Die Supraporten enthalten — in Anlehnung an die Fassadenplastiken — ein Puttenpaar.
Plastiken über einer der Türen







Flachrelief im Treppenhaus

Beeindruckend ist auch die ovale mit plastischen Elementen verzierte Treppenhausdecke, die auf natürliche Weise die Form des Raumes aufgreift. Zusätzlich schmücken Kannelüren im Art Nouveau und Doppelpfeiler die Treppenhauswände.
Kuppelförmige Treppenhausdecke, Gesamtansicht


Treppenabsatz im ersten Stock, Gesamtansicht


Im ersten Stock des Treppenhauses ist eine bemerkenswerte halbkreisförmige Vorkragung über der Kore, die einem kleinen Balkon ähnelt und mit einer üppigen asymmetrischen Plastik verziert ist.
Die Verzierung der Vorkragung


Das Originalgeländer im ersten Stock ist nicht erhalten geblieben und wurde durch eine einfache Holzkonstruktion ersetzt. Die Zeit und menschliche Nachlässigkeit lassen den einmaligen Dekor des Gebäudes sichtbar zu Grunde gehen; dabei ist die Villa einzigartig.
Zwar ist der Originalrahmen des großen Art-Nouveau-Fensters im Treppenhaus erhalten geblieben, die Fenstermosaik aber nicht.
Treppenhausfenster vom Hof aus

Ebenfalls im Treppenhaus nicht erhalten geblieben sind die Deckenmalerei und der Putz in venezianischer Spachteltechnik.
Der Parkettboden des Treppenhauses ist original, aber in keinem guten Zustand.

Zur Sowjetzeit wurde das Treppenhaus der Luxusvilla zum Flur eines Wohnhauses mit blau gestrichenen Wänden. Heutzutage blättert die Farbe ab und lässt den Originalputz zutage treten.
Die ursprüngliche Treppenhaustür wurde 2011 durch eine massive schnörkellose Metalltür ersetzt. Die übrigen Türen des Torbogens sind — anders als alle Innenraumtüren — erhalten geblieben.
Eine Gedenktafel wert ist die historische Tatsache, dass in 1910er Jahren der berühmte Architekt Moisej I. Linezki, der ältere Sohn des Schriftstellers und Gründers der nationalliterarischen Schule Isaak-Joel Linezki, eine der Mietwohnung der Villa bewohnte. Nach seinen Entwürfen sind in Odessa einige bedeutende Bauten überwiegend im Stil der Art Nouveau entstanden, u.a. die in der Marazlijewskaja-Straße 2 und 14a.
Literatur- und Quellenverzeichnis
- V. Piljawski «Zodtschije Odessy» (Die Architekten von Odessa)
- V. Piljawski «Zdanija, soorushenija i pamjatniki Odessy i ih zodtschije» (Häuser, Bauwerke, Denkmäler von Odessa und ihre Architekten)
- Blogartikel „Antique“
- Galerie der alten Fotos von Odessa
- T. Sajarnaja «Wdol po Marazlijewskoj» (Die Marazlijewskaja-Straße entlang), in: Odessa-Almanach, Nr. 42 (1998)
Von:
- Alexander Levitsky, Artdirector, Fotograf und Kolorist
- Dmitriy Shamatazhy, Fotograf und Verfasser
- Yuriy Pavlov, Fotograf
- Oleg Kreposnyak, Verfasser und Redakteur
- Marina Tomenko, Redakteurin
- Lena Lukoschko, Übersetzerin