Mietshaus Tiktin mit Geschäftslokalen

Aleksandrowski-Prospekt 5
Mietshaus Tiktin mit Geschäftslokalen, das über die Jahrzehnte in bedeutendem Maße umgebaut wurde, ist eins der ältesten Bauten von Aleksandrowski-Prospekt. Heutzutage hat das Haus seinen ursprünglichen Zweck eingebüßt, zeugt jedoch vom Geschäftstrubel, was hier einst herrschte.
Gebäudeart: Mietshaus mit Geschäftslokalen
Baustil: Eklektizismus, Klassizismus
Architekten: Giovanni Frapolli (Bau), Georgi I. Torricelli (Umbau)
Bauzeit: 1820-er Jahre (Bau), 1834 (Umbau)
Status: Baudenkmal von lokaler Bedeutung
Die Straßenfassade


Der Aleksandrowski-Prospekt, der zur Sowjetzeit u.a. die Namen von Schmidt und Stalin trug, war als die breiteste Straße im Zentrum von Odessa angelegt und bleibt es bis heute. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jhs. war er besonders verkehrsreich, und hier entstanden viele Geschäftsräume und Ladenlokale. Zu Beginn hieß die Straße Boulevard und verband auf dem Bebauungsplan von F. de Wollant den Gretscheski-Markt am Sewernaja-Platz (heute Gretscheskaja-Platz) mit dem Alten Markt (heute Starobazarny-Garten) und dem Priwoznaja-Platz, im Volksmund auch Priwoz genannt.
Somit entstand eine Verkehrsachse vom Hafen bis zum Wojennaja-Graben, die die genannten Märkte miteinander verband. Auf dem Prospekt lagen die Geschäftslokale, die die Namen ihrer Besitzer trugen, z.B. von Awtschinnikow, Karaimow, oder auch Läden von deutschen oder jüdischen Kaufleuten. Damals galt der Aleksandrowksi-Prospekt als die Hauptstraße von Odessa, bis der Stadtarchitekt Torricelli die Prospekteinfahrt vom Hafen aus durch den Bau des eigenen Hauses versperrte. Dem Beispiel von Torricelli folgten auch andere einflussreiche Bauherren der Stadt, u.a. A. Majurow und I. Anselm. So ließ Majurow mitten auf dem Gretscheski-Markt ein riesiges Haus bauen, das später «rundes Haus» genannt wurde, und Anselm trennte den Prospekt vom Markt durch die Bebauung des Grundstücks, auf dem sich später das Restaurant «Kiew» befand.
Zwar sind die beiden Häuser nicht erhalten geblieben, jedoch machten sie einen Strich durch die Bebauungsrechnung von de Wollant. In den 40-er und 50er Jahren des 19. Jhs. wurde der Prospekt zu einer gewöhnlichen städtischen Straße, und die Geschäftslokale wurden nach und nach umgebaut und zu Wohn- und Mietshäusern umfunktioniert.
Der Prospekt und seine Rolle bei der Bebauung von Odessa wurden in Nachschlagewerken, Geschichtsbüchern und Reiseführern oft thematisiert. So schrieb G. Moskwitsch in seinem «Parktischen Reiseführer von Odessa» aus 1909:
«Seinerzeit war Aleksandrowski-Prospekt eine sehr beliebte Handelsstraße; heutzutage sind die besten Geschäfte für Mode und Manufakturwaren in die Deribassowskaja- und Rischeljewskaja-Straßen umgezogen, aber einfache Ware bekommt man hier nach wie vor am günstigsten. Auf der linken Straßenseite zwischen den Kondratenko- und Bunina-Straße findet sich eine Reihe von Geschäften für Damenhüte. [...] Auf der rechten Straßenseite bis zu Uspenskaja-Straße liegen größere Manufakturgeschäfte, Kaufhäuser für Mode- und Kurzwaren sowie Damenumhang. Der Handel auf dem Aleksandrowski-Prospekt folgt ihren besonderen Regeln, und wir empfehlen unseren Lesern, hartnäckig zu feilschen. Hier werden horrende Preise verlangt und gute Nachlässe eingeräumt».
Zwar lief der Handel bis 1910-er Jahre aktiv, jedoch büßte die Straße ihre Schlüsselrolle im Geschäftsleben der Stadt ein. Heute erinnern daran nur wenige erhalten gebliebenen Gebäude, darunter die früheren Geschäftslokale von Kumbari, Awtschinnikow, Jelisawetinskaja sowie die Häuser Nummer 1 und 5.
Das Gebäude auf dem Aleksandrowski-Prospekt 5 entstand in der ersten Hälfte der 1820-er Jahre zusammen mit ähnlichen Häusern und ist ein Beispiel für die Anfangsbebauung der Straße. Der Entwurf stammt vom Architekten Giovanni Frapolli. Als Geschäftshaus diente der Bau nicht länger als ein Jahrzehnt. Anfang 1830-er Jahre ging das Grundstück in den Besitz von Albert über, und 1834 wurde das Haus nach dem Entwurf von Georgi I. Torricelli zum Wohnhaus umgebaut. Danach gehörte das Haus einem Tiktin, diente ab dann als Mietshaus und wurde nicht mehr maßgeblich umgestaltet. Der Original-Innenraum fiel den Umbauten der 2000-er Jahre zum Opfer.
Die architektonische Gestaltung der 14-achsigen Straßenfassade ist schmucklos. Das Erdgeschoss ist für Geschäftslokale konzipiert und wird auch heutzutage entsprechend genutzt. Die Fenster im ersten Stock sind Stichbogenfenster ähnlich wie im benachbarten Haus Nummer 3. Jedes Fenster schließt mit einer schlichten Verdachung ab. Die Einfahrt, die näher zum rechten Fassadenrand liegt und so die Fassade asymmetrisch macht, ist in der Höhe Erdgeschoss durch einen kleinen Risalit hervorgehoben.
Die Einfahrt


Auf dem Grundstück befanden sich das Vorderhaus, der linke Dienstflügel, in dem auch eine Wäscherei lag, und der rechte Flügel, der als Pferdestall diente. In der Mitte des Innenhofs lag ursprünglich ein Geschäfts- und jetzt ein Wohngebäude, das durch Galerien im ersten Stock mit dem Vorderhaus verbunden war.
Links und rechts schließen im rechten Winkel an die Fassade die Hofflügel von bemerkenswerter Länge an.
Die Hoffassaden



Die Hoffassaden wurden über Jahrzehnte erheblich umgebaut, so dass von der ursprünglichen Gestaltung nicht viel übriggeblieben ist. Der linke Flügel soll im Zweiten Weltkrieg durch eine Bombenexplosion stark beschädigt worden sein; beim Wiederaufbau richtete man sich nicht nach dem Originalentwurf. Erhalten geblieben ist ein Fassadenteil in der Breite von drei Fenstern mit drei Säulen auf der später zugemauerten Galerie; mehr ist vom Entwurf von Frapolli nicht zu sehen.

Die Balkonbrüstungen der Straßenfassade stammen aus der Bauzeit. An der Hoffassade ist ebenfalls ein Balkon mit der Brüstung im Originalzustand zu sehen.
Die Balkongeländer


Im Großen und Ganzen verfolgt der Entwurf in erster Linie einen praktischen Zweck. Ungeachtet der radikalen Umbauten der lezten Zeit ist das Gebäude weniger durch die architektonische Gestaltung, sondern viel mehr durch sein Alter wertvoll. Es gibt in der Stadt nicht mehr viele Bauten aus der Zeit, und ihre Anzahl geht leider stetig zurück.
Literatur- und Quellenverzeichnis
- V. Piljawski «Zodtschije Odessy» (Die Architekten von Odessa)
- V. Piljawski «Architektura Odessy. Stil i wremja» (Die Architektur von Odessa: Stil und Zeit)
- J. Paramonow «Aleksandrowski-Prospekt ot ulicy Bunina do Uspenskoj» (Aleksandrowski-Prospekt zwischen den Bunina- und Uspenskaja-Straßen)
- Verzeichnis der Kulturdenkmäler von Odessa
- O. Gubar «Starye doma i drugije pamjatnye mesta Odessy» (Altbauten und andere Denkmäler von Odessa)
Von
- Alexander Levitsky, Artdirector, Redakteur und Kolorist
- Dmitriy Shamatazhy, Fotograf und Verfasser
- Marina Tomenko, Redakteurin
- Lena Lukoschko, Übersetzerin